Flugstunde
Frankfurter Flughafen. Untragbare Missstände. Das Bodenpersonal streikt. Sie fordern: mehr Geld, weniger Arbeit. In Afrika sterben Kinder an Polio. Es gibt einen recht billigen Impfstoff gegen Polio. In Afrika sterben Kinder an Aids. Hier werden HIV-Positive Menschen um die 50 Jahre alt. Das liegt daran, dass die Menschen hier Medikamente bekommen, die die Afrikaner nicht bekommen. Aber genug davon. Das Bodenpersonal am Frankfurter Flughafen streikt. Der Flugverkehr liegt lahm. Die Lotsen streiken. Verdi sagt, sie wollen mehr Geld, weniger Arbeit. Rund 8500 Euro jeden Monat bei 25 Stunden Arbeit in der Woche. Fluglotsen tragen wahnsinnig viel Verantwortung und müssen sich uneingeschränkt konzentrieren. Sie sollten nicht so viel arbeiten, wie Menschen, die sich nicht uneingeschränkt konzentrieren müssen.

Bernd arbeitet in der Gepäckabfertigung. 2500 Euro jeden Monat bei 40 Stunden Arbeit pro Woche. Bernd und seine Kollegen haben nicht viel Verantwortung. In der Regel hängen keine Menschenleben an ihren Entscheidungen. Bernd und seine Kollegen streiken für mehr Geld und weniger Arbeitszeit. Der Frankfurter Flughafen hat 1900 Fluglotsen. Einer davon, Maik, ist Bernds langjähriger Freund. Sie kennen sich seit der Schulzeit. Das Schicksal fügte, dass die Möglichkeit besteht ab und zu zusammen Mittag zu essen. Einige von Maiks Kollegen erkennt Bernd während der Demonstration. Aber er kann Maik nicht finden. Maik und er hatten sich das vergangene Wochenende getroffen und ein paar Bier zu viel getrunken. In jedem Fall fühlte es sich für Bernd am Tag nach dem putativen Besäufnis nach ZU VIEL an. An dem Abend in der Kneipe fing Maik nach dem siebten Bier plötzlich an völlig wirres Zeug zu reden. Zumindest in Bernds Augen war das wirr. Er faselte etwas von Besitz und wie anmaßend es wäre Papier sein eigen zu nennen.

„Papier? Wieso Papier?“

„Na ich mein“, lallte Maik, „zu dem Papier gehört ein Baum. Aber auch wenn er nicht dazu gehören würde, könnte man doch nicht einfach behaupten, nur weil man drei Groschen gezahlt hat, dass einem auf einmal 500 Blatt Papier gehören. Was hat denn das miteinander zu tun??“

„Was redest du denn da?“

„Überleg doch mal wie absurd das ist, wenn Menschen auf einem Stück Land Häuser bauen und dann nach entsprechender Zahlung einen größeren oder weniger größeren Bereich um das Haus einzäunen. Und dann auf einmal gehört ihnen das Stück Erde. Du zahlst und auf einmal besitzt du etwas und kein anderer hat Anspruch, egal wie nötig es für sein persönliches Glück ist, den Gegenstand zu benützen oder das Stück Land zu betreten. Kein fremder Hund oder Maulwurf darf sich dann auf deinem Land rumtreiben! Du kaufst einen Brunnen und hättest das Recht die anderen verdursten zu lassen. Aber das hat ja noch nicht einmal etwas mit der Grundabsurdität von Besitz zu tun. Haha! Überleg dir das doch mal: wenn man das zu Ende denkt, musst du nur genug Kohle haben und du kannst die ganze Erde kaufen. Da brauchste dann noch nicht mal mehr einen Zaun! Haha. Und was machste dann mit den anderen Menschen. Dann gehört DIR ja die Erde. Zum Mond schicken? Aber wer soll dann die Geräte bedienen, die die Menschen zum Mond schießt, wenn einem allein die Erde gehört? Dazu brauch man ja Fachmänner! Haha!“

Er schüttelte den Kopf. Bernd tat es ihm gleich, nur aus einem völlig anderen Beweggrund. Da saßen sie und schüttelten die Köpfe.

Plötzlich ganz ernst, sagte Maik zu Bernd, während er nach Geld kramte um die Bier zu zahlen:

„Ich weiß, dass du kein Wort verstehst, aber eins will ich noch sagen: die Logik unserer Art erlaubt vielleicht, dass einer von uns die ganze Erde kauft, sie schließt gleichzeitig aber auch aus, dass ein Mensch allein die Welt besitzt. In diesem Punkt sehe ich Hoffnung.“

Damit stand er auf und ging. Bernd war völlig verwirrt, machte sich über die Essenz von Maiks Worten aber auch nicht länger Gedanken. Er fand es eher amüsant, dass Maik so ein Midlife – Crisis – Ding durchmachte, seitdem seine Frau Nele ihn für einen Künstler verlassen hatte und das Gericht ihn letzten Donnerstag auch noch verdonnerte jeden Monat 1.1 kiloEuro (wie Maik immer sagte um es weniger erscheinen zu lassen) an die Ex – Liebste zu zahlen.

Maik ist nicht zu finden. Mittlerweile sind fast alle seiner Kollegen auf der Landebahn erschienen. Er nicht. Einer meint er hätte ihn heute Morgen schon gesehen, seit aber der Streikaufruf war, wäre er mit zwei anderen verschollen gewesen: Luisa und Kalle. Bernd findet das seltsam. Er fängt an sich Sorgen zu machen, dass die drei irgendwas Krasses planen: den Flughafen in die Luft jagen oder eine Boeing klauen. Das wären auf jeden Fall die Richtigen dafür, denkt Bernd.

Nach weiteren 30 Minuten startet Bernd einen erneuten Versuch Maik zu finden und geht in den Tower. Er findet einen Zettel.

- Passen auf die Demenzgruppe der Frankfurter Diakonie auf. Brauchen nicht mehr Geld und zu viel arbeiten tun wir auch nicht. Sagt rechtzeitig Bescheid, bevor der Flugverkehr wieder aufgenommen wird. Hier Luisas Nummer… -